Kurzgeschichten aus der Perspektive von verstorbenen Menschen.

Wenn ein Mensch stirbt, sehen wir nur die Seite der Hinterbliebenen. Die Trauer, den Verlust und der damit verbundene Schmerz. Es scheint unmöglich, dass auch die betroffenen Toten darunter leiden könnten. Sie sind getrennt von ihren Liebsten, weil sie nicht mehr so wahrgenommen werden können, wie es gewöhnlich war. Die Unendlichkeit eröffnet sich ihnen und sie blicken in eine komplett neue Welt.
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihnen zuzuhören und ihre Geschichten niederzuschreiben, damit sie jeder lesen kann. Denn das ist das, was sie manchmal möchten – ihr Schicksal teilen…
Ihre Worte schreibe ich in Kurzgeschichten. Da ich inhaltlich nichts hinzufüge, können sie auch unterschiedlich lang sein. Kaum einer möchte Alles von sich preisgeben. So ist es auch bei ihnen, sie bestimmen es selbst.

Dieses Buch beinhaltet 12 Erzählungen. Jorst fand nach einem turbulenten Leben seine Freude am Motorradfahren wieder. Elise erfüllte sich im hohen Alter noch einen großen Wunsch und für Jan bleibt Humor immer das Wichtigste.
Meggi wurde mit ihren zwei Kindern in eine riskante Situation verwickelt. Mario, ein Bodybuilder mit Leib und Seele, wurde sein einziger Flugzeugtrip zum Verhängnis. Barry erschoss seine Familie und erzählt mit seiner Frau Luise die Geschichte. Sonja ließ ein schweres Leben, geprägt von Verfolgungswahn, hinter sich. Kevin Clough, ein Feuerwehrmann, kam bei einem tragischen Unfall ums Leben. Horst war wegen einer Kriegsverletzung auf einen Rollstuhl angewiesen. Seine Liebe zu einer russischen Frau veränderte sein Leben folgenschwer. Summer war eine zielstrebige, junge Lehrerin, die einem grausigen Verbrechen zum Opfer fiel. Adrejano war ein begnadeter Illusionist, der nicht nur sein Publikum zum staunen brachte. Tabitha geriet in Gefahr, weil Worte zur falschen Zeit alles verändern können.

 

 

Leseprobe

 

Jorst

 

Viele Jahre verbrachte ich mit der schönsten Nebensache der Welt - meinem Motorrad. Ich bekam es mit zwanzig Jahren von meinen Eltern geschenkt und pflegte es gut. Somit überlebte es meine geschiedene Ehe und meine drei Kinder. Linda, Lydia und Tobias. Sie waren für mich das Größte, sozusagen die Hauptsache.

Ich zog sie liebevoll groß und meine Frau verließ mich wegen einem anderen Mann. Sie nahm meine Liebsten einfach mit und ich sah sie nur noch vorübergehend und nach streng einzuhaltenden Terminen.

Nachdem ich wieder mehr Zeit für mich hatte, suchte ich mir einen Job und holte mein Motorrad aus der Garage. Etwas eingestaubt war es schon und auch einiges verkantet, weil ich es kaum bewegte. Das sollte sich von nun an ändern und das tat es auch.

In meiner neuen, kleinen Wohnung gewöhnte ich mich immer mehr an das Singleleben und auch die neugewonnene Freiheit wurde mir immer bewusster und ich nahm sie besser an, als ich vorher traurig dachte. Irgendwie muss man sich ja mit dem Leben arrangieren!

Die Wochenenden, an denen ich nicht die Kinder bekam, fuhr ich mit meinem Motorrad über die Straßen. Ein berauschendes, wildes Gefühl, das ich schon komplett vergaß, bei der Erziehung meiner Sprösslinge.

Strebsam glitt ich über den Asphalt, wie ein Adler im Himmel. Nichts konnte mich mehr aufhalten! Doch dann stand da plötzlich meine Exfrau vor meiner Türe. Mit gefühlvollem Blick und in den Armen unsere Liebe.

Die sechs Augen meiner Kinder strahlten vor Freude und unterstützten ihren Wunsch, „dass wir wieder zueinanderfinden“.

Sie entschuldigte sich bei mir und wollte alles wieder ungeschehen machen, aber das war nicht so einfach. Ich konnte meine Gefühle, die nicht mehr ganz so verletzt waren, nicht einfach abschalten, nur weil der andere Mann sie hat sitzen lassen, sowie sie zuvor mich!

Doch tat ich es nach wenigen Wochen und zog wieder zu ihnen, in unser Haus. Sie überzeugte mich mit einigen Versprechen und natürlich war ich auch wieder froh, meine Kinder immer um mich herum zu haben. Nur wollte ich nicht wieder in alte Gewohnheiten verfallen!

Und meine Frau Tanja versprach mir, mich zu unterstützen und mir mehr Freizeit zu schenken. Ich behielt meinen Job und den Vorsatz, jedes zweite Wochenende mit meinen Jungs, die ich in meine Singlezeit kennengelernt hatte, Motorrad fahren zu können.

Das lief ganz super und dann wurde Tanja schwanger. Ich war außer mir vor Freude, aber auch vor Angst, weil ich schon 45 Jahre alt war und nie als Vater aussehen wollte, wie der alte Opa.

Am Ende gewann die Freude die Oberhand und wir fieberten mit unseren Kindern, die sich schon sehr auf ihr neues Geschwisterchen freuten, dem Geburtstermin entgegen.

Es sollte der 20. Dezember sein - unser Vorweihnachtsgeschenk. Doch dann wurde daraus unser schwarzer Tag. Kurz vor der Geburt gab es Komplikationen. Die Wehen setzten vorzeitig ein und wir waren guter Hoffnung. Aber die Kleine starb. Sie war so winzig.

Unsere Welt brach zusammen und wir suchten einander Halt, doch unsere Beziehung hatte keine Chance. Der Mann, wegen dem sie mich sitzen ließ, trat erneut in unser Leben. Auch er wurde verlassen und suchte nun Trost bei Tanja. Er fand ihn bei ihr und sie überwand ihren Trauerprozess durch ihn.

 

Ich war anfänglich nur wütend und reichte sofort die Scheidung ein! Die Beziehung zu meinen Kindern wurde komplizierter und ich konnte nur Frust abbauen, indem ich mit meinem Mottorad fuhr. Lange und schnell!

Das machte ich noch fünf Jahre. Gemeinsam mit meinen Jungs und noch mehreren, anderen Fahrern veranstalteten wir Treffen und hatten viel Spaß.

Tanja heiratete in der Zeit neu. Allerdings nicht den Mann, der für unsere doppelte Trennung verantwortlich war. Sie bekamen noch zwei gemeinsame Kinder und ich näherte mich meinen eigenen wieder besser an. Sie waren nun schon fast erwachsen und lebten gewissermaßen ihr eigenes Leben. Sie kamen sehr oft zu Besuch, schliefen über Nacht und verschönerten meine Zeit.

Ich dachte, es wird sich nichts mehr ändern. Wir hatten doch schon alle Schicksalsschläge durch! Aber da habe ich die Rechnung ohne mich gemacht. „Dass mir etwas passieren könnte“, mit dem Gedanken verschwendete ich keine wertvolle Sekunde. Doch so war es!

Ich fiel einfach um - einfach so! Nicht einmal Schmerzen oder Vorzeichen, gar nichts! Hirnschlag! Tot!

Zu dem Zeitpunkt war ich allein in meiner Wohnung, sodass es zwei Tage dauerte, bis meine Kinder mich fanden. Es war furchtbar!

Ich war nur noch traurig! Außerdem verwirrte mich der Tod. Wie kann es weitergehen? Warum? Gläubig war ich nie, schon gar nicht nach dem Tod unserer Tochter. Priscilla sollte sie heißen. Tanja benannte ihre eigene, neugeborene Tochter nach ihr und ihr Sohn wurde dazu ein Aaron, weil sie ihm mit den Namen ‚Elvis’ nicht ärgern wollten.

 

Mir gingen so viele Gedanken im Kopf herum, besonders als sie alle gemeinsam um meinen Sarg standen und weinten. Ihre Leben liefen weiter - meins nicht! Ich brauchte einige Zeit, um das zu verkraften und blieb auf dem Friedhof sitzen.

Meine Motorradfreunde machten es zum Ritual, meine Grabstelle bei jedem Treffen zu besuchen und, wie sie halt so waren, machten sie Scherze über die Art meines Todes.

„Dass ich nicht mal den Schneid besaß, bei meiner Leidenschaft zu sterben, sondern sinnlos und feige umzufallen. Wie konnte ich nur?“ Ich lachte mit ihnen und fühlte mich ein Stückchen wie zu Lebzeiten.

Dann fuhren sie weiter und ich blieb zurück. Ein Umstand, der meine Traurigkeit immer wieder zurückholte. Ich versuchte auf ihren Motorrädern zu fahren, doch es blieb nur dabei, dass ich auf ihnen sitzen konnte.

Dadurch kam ich aber bei ihrem nächsten Besuch auf die Idee sitzen zu bleiben und nicht aufzustehen, nur weil sich mein Kumpel auf seine Maschine setzt. Er fuhr los und ich blieb sitzen!

Ich blieb wirklich auf seinem Schätzchen sitzen und fuhr mit in die Bar, in der wir uns schon früher gerne trafen. Ein Wahnsinnsgefühl!

Ich variierte wöchentlich zwischen meinen Freunden und begleitete ihren Alltag mit. Zwei von ihnen starben und ich war jedes Mal so froh, dass wieder einer von ihnen bei mir ist. Nun fahren wir gemeinsam mit unserer Truppe zu jedem Treffen.

Es hat sich nichts verändert. Wir lachen mit ihnen mit und unsere Zusammengehörigkeit ist stetig angestiegen. Auch meinen Kindern geht es wieder gut und das macht mich unendlich glücklich.

Elise

 

80 Jahre war ich alt, als ich mir meinen Traum von einem Hund erfüllte. Alle sagten mir: „ich sei zu alt“, doch ich fühlte mich rüstig und jung genug, ein liebes Lebewesen zu versorgen.

Ein kleiner Malteser machte mich glücklich und war auch schon etwas älter. Fünf Jahre genau und damit waren auch meine Kinder zufrieden, dass er mich nicht überleben könnte und wenn doch, dann wäre er schon so alt, dass sie ihn bei meinen Tod problemlos einschläfern könnten.

Das waren ihre Worte, doch ich sah darüber hinweg, denn sie hätten wirklich keine Zeit für einen Hund gehabt und auch kaum Geld.

Meine Rente war ebenfalls nicht die größte, aber ausreichend um uns beide zu versorgen. Ich vermisste die Liebe nach dem Tod meines Mannes und Ringo, so hieß der Hund schon vom Vorhalter, ließ sie mich wieder fühlen. Wir schenkten sie uns gegenseitig und alterten gemeinsam.

Er bereicherte mein einsames, immer gleiches Leben, das vom ständigen Staub wischen schon ziemlich fade war. Wir kamen unter Leute und Hunde. Es war fulminant.

An meinem 86. Lebensjahr begannen meine Augen nachzulassen und ich wurde schwächer. Alles wurde schwieriger - anstrengend, aber ich wollte niemanden um Hilfe bitten.

Zu groß war meine Angst, dass sie mir Ringo wegnehmen würden und einschläfern. Das wollte ich nicht riskieren, also wurden unsere Spaziergänge kürzer und unsere Kuschelmomente, auf dem Sessel, länger.

An einem Mittwoch, nach dem wir früh kurz draußen waren, begann es meinem Ringo schlecht zu gehen. Er erbrach ständig weißen Schleim und ich war nur am wischen. Es nahm kein Ende und wurde auch am darauffolgenden Tag nicht besser.

Meine Tochter kam zu Besuch und sah das Dilemma. Sie meinte: „Ringo muss sofort zu einem Tierarzt.“ Ich nahm mein Erspartes und meinen Stock, und dann gingen wir los.

 

Ringo ging es sehr schlecht. Er war so schwach, dass meine Tochter ihn tragen musste. Immer wieder erbrach er sich und meine Tochter war nur am fluchen. Er tat mir so leid. „Mein armer Ringo“, dachte ich unentwegt.

Der Weg zum Tierarzt war nicht lang, aber für mich sehr weit. Ich wollte meine Schwäche nicht vor meiner Tochter preisgeben und demonstrierte Stärke. Die letzte, die ich noch hatte – für Ringo wollte ich stark sein, doch es war sehr schwer, das musste ich mir eingestehen. Ich hätte ihn auch nicht tragen können.

Als der Arzt uns ins Zimmer rief, sah er schon bekümmert aus. Er erzählte uns von Giftködern, die gehäuft in unserem Gebiet gefunden wurden und Ringos Krankheitsbild passte dazu. Der Test bestätigte es uns schnell und es gab keine Chance mehr für Ringo. Der Arzt riet mir: „Ringo einzuschläfern, um ihn von seinen Qualen zu erlösen. Er würde sowieso zeitnah sterben.“

Voller Tränen stimmte ich zu und begleitete ihn in seinen letzten zehn Minuten. Sie veränderten mein schönes, altes Leben und nahmen mir ALLES. Ich kam mit Ringo und verließ die Praxis ohne ihn. Ich musste ihn zurücklassen, weil für eine Einäscherung mein Erspartes nicht reichte.

Ich hatte nichts mehr, als ich in meine leere Wohnung kam. Da waren nur noch meine Erinnerungen und die Trauer. Dann kam die Wut auf jene Menschen, die so etwas machen.

 

Und dann wurde ich wütend auf mich. Wegen meinen schlechten Augen sah ich nicht, das Ringo etwas aß. Ich dachte, „er schnüffelt nur solange.“ Dann wurde ich noch böser auf mich.

Wäre ich gestern schon zum Arzt mit ihm gegangen, wäre es garantiert nicht zu spät gewesen. Warum habe ich solange gewartet? Er hätte noch laufen können, doch ich hatte nur Angst vor dem Weg.

Die Länge der Strecke allein zurückzulegen und die Angst, dass es etwas Schlimmes ist. Und nun war genau das eingetroffen! Mein Alptraum wurde wahr.

Einsam und traurig, so, wie ich es vor unserem Zusammensein schon war, so war ich wieder. Nur noch viel einsamer und unendlich trauriger.

Es half kein Trost, den mir meine Kinder aussprachen. Nichts konnte mir meinen Lebensmut wiederbringen. Wieso sollte ich jetzt noch weiterleben? Ich verfiel von Tag zu Tag – körperlich, geistig, seelisch. Ich träumte von Ringo, ihn wieder bei mir zu haben. Ich wünschte mir sehnlichst den Tod und bekam ihn geschenkt.

 

Meine geistige Stärke kam zu mir zurück und auch meine physischen Kräfte wuchsen an und machten mich NEU. Ich schloss meine Augen für immer, denn ich beobachtete meinen alten, trostlosen Körper dabei - zusammen mit Ringo und Flenz, mein damaliger Ehemann.

Wir freuten uns über unsere Zusammenkunft und Flenz ging wieder seine eigenen Wege. Er hat noch sehr viel vor und ich möchte meine Zeit lieber mit Ringo verbringen.

 

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