Kurzgeschichten aus der Perspektive von verstorbenen Menschen.

Wenn ein Mensch stirbt, sehen wir nur die Seite der Hinterbliebenen. Die Trauer, den Verlust und der damit verbundene Schmerz. Es scheint unmöglich, dass auch die betroffenen Toten darunter leiden könnten. Sie sind getrennt von ihren Liebsten, weil sie nicht mehr so wahrgenommen werden können, wie es gewöhnlich war. Die Unendlichkeit eröffnet sich ihnen und sie blicken in eine komplett neue Welt.
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihnen zuzuhören und ihre Geschichten niederzuschreiben, damit sie jeder lesen kann. Denn das ist das, was sie manchmal möchten – ihr Schicksal teilen…
Ihre Worte schreibe ich in Kurzgeschichten. Da ich inhaltlich nichts hinzufüge, können sie auch unterschiedlich lang sein. Kaum einer möchte Alles von sich preisgeben. So ist es auch bei ihnen, sie bestimmen es selbst.

Dieses Buch beinhaltet 14 Erzählungen. Marie verunglückte als kleines Mädchen. Tillino, ein liebevoller Familienvater, wich nie von der Seite seiner Liebsten. Juliane war eine viel beschäftigte Geschäftsfrau, die erst nach ihrem Tod zur Ruhe kam. Rebecca suchte nach dem Tod ihr Baby. Nele ertrank und Joachim kam mit seinem Leben nicht mehr klar und beendete es selbst. Suzie verschrieb sich einer Gruppierung. Malita verlor ihr qualvolles Leben auf brutale Weise und Randy versank mit seiner Frau Wendi im Drogensumpf. Brenda arbeitete als Begleitperson für unterschiedliche Auftragskiller. Karl-Ludwig führte dagegen ein normales Leben. Für Chin Le wurde die große Liebe, zu ihrer besten Freundin, zum Verhängnis. Rupert wählte ein Leben ohne Obdach und fand dadurch sein großes Glück. Die Geschichte von Stefanio, einem mehrfachen Mörder, ist nichts für schwache Nerven.

 

 

Leseprobe

Marie

 

Ich war ein kleines Mädchen und besaß alles, das man mit Geld kaufen konnte. Meine Eltern waren reich und ich musste nur Pieps machen, da hatte ich es schon. Im Nachhinein gesehen, war ich dumm, dass ich dies aufgab. Aber mit acht Jahren sieht man das noch anders. Ich nahm alles für selbstverständlich und konnte nichts wertschätzen.

Wir hatten viele Bedienstete, die sich die meiste Zeit um mich kümmerten. Ich behandelte sie so, wie meine Eltern es vorlebten. Und sie gingen nicht wirklich gut mit ihnen um. Dennoch waren unsere Leibeigenen so lieb zu mir, obwohl ich sie den ganzen Tag nur anschrie. Ich war bockig und völlig verzogen.

Mein Kindermädchen spielte viel mit mir im Garten. Dazwischen musste ich immer lernen. Die Lehrer kamen zu uns nach Hause und das fand ich so furchtbar. Ich hasste es und zeigte es ihnen mit aller Kraft. Sie hatten es sehr schwer mit mir und meine Eltern bestraften mich für dieses Verhalten. Erst später wusste ich, dass sie es zu Recht taten, aber damals?

Ich war so sauer auf sie und lief, als sich die Gelegenheit ergab, einfach weg. Ich kannte die Umgebung in und auswendig, zumindest dachte ich das. Ich hatte auch kein bestimmtes Ziel, ich wollte nur weit weg von ihnen und dem ganzen Lernen.

Was dann geschah, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht mehr genau. Ich konnte mich nur noch an Dunkelheit erinnern und an einem Wald, in dem ich stand. Dann fiel ich in die Tiefe und das war ganz komisch.

Erst fiel ich und dann stand ich plötzlich wieder normal im Wald. Ich konnte im Dunkeln plötzlich besser sehen und fühlte mich so Anders.

Ich bekam Sehnsucht nach meinen Eltern und ging zu ihnen zurück. Mein Kindermädchen war froh, dass ich wieder da war und nahm mich in die Arme. Sie sorgte sich sehr und hatte viele andere Leute losgeschickt, um mich zu suchen. Sie rief meinen Eltern laut zu: „dass ich wieder da sei“.

Ich hörte aus dem danebenliegenden Raum nur ein: „bring Sie ins Bett!“

„Sie sind sauer auf dich“, erklärte mir mein Kindermädchen und brachte mich nach oben. „Das darfst du nie wieder machen!“, erteilte Sie mir eine Strafpredigt. Ich wurde eingeschnappt, was ihr einfällt, so mit mir zu reden! Ich schmiss sie aus meinem Zimmer und legte mich wütend schlafen.

Am nächsten Morgen weckte mich meine Mutter, in dem sie panisch durch mein Zimmer lief und es wieder verließ, ohne etwas zu sagen. „Sie ist bestimmt noch sauer“, dachte ich mir und blieb einfach liegen. Bestimmt würde sowieso gleich der Lehrer kommen, um mich zu unterrichten.

Auch mein Vater sah kurz in mein Zimmer. Ich sagte vorsichtig: „hallo“, doch er antwortete nicht. Das machte mich sehr traurig. Ich hörte lautes Schreien von unten und schlich mich an das Treppengeländer. Dort standen meine Eltern und diskutierten heftig mit meinem Kindermädchen.

Sie fragten sie immer wieder: „wo ich sei?“

„Gestern war sie noch da“, erwiderte sie mit zittriger Stimme und sah zu mir nach oben. „Da ist sie doch!“, sagte sie erleichtert und meine Eltern schauten ihrem Fingerzeig nach.

Da wurden sie vollkommen hysterisch. Mein Vater zog ihr an den Haaren und warf die Haustür hinter ihr zu.

„Was der einfällt!“, echauffierte er sich. Sie gingen einen Raum weiter und ich verstand gar nichts mehr. Warum sahen sie mich nicht? Waren die blöd? Oder waren sie immer noch so sauer auf mich, dass sie mir mit ihrem Verhalten eine Lektion erteilen wollten?

Ich setzte mich auf die oberste Treppenstufe und wartete ab. Sie ignorierten mich weiter, obwohl sie einige Male an mir vorbeiliefen. Vielleicht sollte ich wieder gehen? Das war nicht schön.

Irgendwann lief ich zurück in mein Kinderzimmer und setzte mich zu meinem Spielzeug. Ich kuschelte mit meinem Teddy und legte mich in mein Bett. Da ertönte ein lauter Schrei von unten.

Ich lief dem Geräusch nach und sah meine Mutter so sehr weinen, wie noch nie zuvor. Mein Vater schrie sich die Kehle aus den Hals und der fremde Mann, der da noch stand, schüttelte nur den Kopf.

„Was ist los?“, fragte ich sie und stellte mich neben meine Mutter. Sie konnte sich nicht mehr beruhigen und fiel weinend zu Boden. Also ging ich zu meinem Vater, der mit der Faust immer wieder gegen die Wand schlug. Das verstörte mich.

Der fremde Mann sagte: „es tut mir sehr leid“ und verließ unser Haus. Ich beobachtete meine Eltern, wie sie die nächsten Tage verbrachten. Sie ignorierten mich immer noch. Ich wunderte mich langsam, dass ich weder Hunger noch Durst verspürte. Zur Toilette musste ich auch nicht mehr.

Ich folgte meinen Eltern auf Schritt und Tritt, so auch, als sie auf einen Friedhof fuhren. Ich gruselte mich immer sehr vor so etwas und machte normalerweise immer einen riesigen Bogen um diesen Ort. Aber wenn Sie dort so zielgerecht hingingen, dann musste ich auch dahin!

Ich verstand nicht, was Sie da machten. Sie weinten viel und da waren auch noch andere Leute, die mir aber nie etwas bedeuteten. In der Ferne entdeckte ich mein Kindermädchen und rannte zu ihr. Sie erschrak, denn sie wollte sich wohl eigentlich verstecken, damit meine Eltern nicht wieder böse auf sie werden.

Sie drehte sich um und verließ schnell den Ort. Ich rannte ihr bis zu ihrer Haustür nach. Sie warf sie vor mir zu und ich lief einfach hindurch, was sie genauso schockierte, wie mich. Sie schrie, ich schrie.

Sie sagte mir immer wieder: „ich soll verschwinden!“ Aber warum? Ich wusste nicht, was geschehen war?

Ich blieb bei ihr und bat sie immer wieder um Hilfe. Doch sie wollte davon nichts hören. Es müssen viele Tage vergangen sein und sie wurde immer verzweifelter. Das verstand ich damals aber noch nicht. Ich dachte nur: „alle haben sich gegen mich verbündet, um mich zu bestrafen.“

Sie stand in der Küche und machte sich Essen. Ich fragte sie: „warum ich das nicht mehr bräuchte?“

Sie sah mich mit weinenden Augen an und sagte: „sie könne nicht mehr“. Sie nahm sich ein langes Messer und stach es in ihren Hals. Sie fiel um und stand dann kurze Zeit danach neben mir. Geschockt sah sie abwechselnd mich und ihren Körper an. Wir liefen durch ihr Blut und setzten uns auf ihre Couch. Es kam mir ewig vor, bis sie endlich etwas sagte.

„Jetzt kann ich dir helfen“, erklärte sie mit einer anderen Stimme. Sie nahm meine Hand und wir verließen den Ort – die Welt. Es war wie fliegen, so wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Ich musste die Augen schließen, weil es zuviel für mich wurde. Als ich sie öffnete, waren wir in einer fremden Umgebung. Aber sie schien sie zu kennen.

Uns kamen viele Menschen entgegen, die sich über sie freuten. Sie erklärten mir stückchenweise, was geschehen sei. „Dass ich gestorben bin und meinen kleinen Körper ziehen lassen soll“. Denn ich steckte immer noch in ihm und konnte mir aber nicht vorstellen, was sie mit ‚ziehen lassen’ meinten. Ich wollte wieder zurück zu meinen Eltern, doch sie rieten mir davon ab. Das war mir egal! Aber ich wusste nicht, wie ich zu ihnen gehen konnte. Also setzte ich mich hin und blieb einfach stur sitzen.

Ich wurde immer trauriger und ignorierte alle, die mir dort helfen wollten. Denn das, wollten sie weiterhin auf ihre Art! Ich wollte aber nur zu meinen Eltern! Sie fragten mich: „ob ich nicht andere Angehörige hätte, die schon tot seien“?

Ich konnte mich an niemanden erinnern. Da waren nur meine Eltern und die vielen Bediensteten. „Freunde?“

Ich hatte nie welche, nur viele Spielsachen. Das war immer das Wichtigste für mich. Alles, was man mit Geld kaufen konnte. An anderen Kindern hatte ich kein Interesse.

Solange ich in diesem kindlichen Körper blieb, war ich auch gedanklich noch so eingeschränkt. Sie entschieden, ihn mit aller Macht von mir zu trennen, weil ich sonst für immer so gesessen hätte.

Ich weiß nicht, wie sie es taten, doch plötzlich veränderte sich vieles. Alles wurde größer und ich fühlte mich viel reifer. Mein Körper sah anders aus und altes Wissen kam zu mir zurück.

Ich stand auf und sah in die vielen Gesichter, die mich nett anlächelten. Ich verschwand mit einem Augenzwinkern und war bei meinen Eltern. Alt und gebrechlich wirkten sie nun und immer noch unendlich traurig.

Das Haus sah heruntergekommen aus und ich lief in mein altes Zimmer. Das sah noch aus wie immer. Die Spielsachen lagen überall wild herum und mein Teddy lag auf dem Bett. Ich kuschelte mich an ihn und ging in den Wald. Ich suchte die Stelle, an der ich damals verunglückte. Sie zog mich förmlich an.

Ich hielt vor einem tiefen Loch an und setzte mich davor. Ich ging die Szenen durch, wie ich damals als kleines Mädchen durch den Wald lief und fiel. Jetzt verstand ich, wie ich starb. Ich sprang in das Loch und es schien kein Ende zu nehmen. Ich landete kopfüber auf dem harten Boden und spürte in dem Moment, wie meine Knochen damals brachen. Ich stand auf und sah mich um. Da waren nur braune Erde und viele kleine Baumwurzeln.

Also ging ich auf den Friedhof. Ich suchte mein Grab und fand meinen Stein. So glänzend, wie damals unser Haus aussah, so gepflegt war auch meine Ruhestätte. Ich blieb dort und meine Eltern kamen mich sehr oft besuchen.

Als auch sie starben, schloss ich mit dem kurzen Leben ab. Denn die menschlichen Jahre sind nichts, gegen die Unendlichkeit von Zeit und Raum und die Unsterblichkeit der Seele. Bald werde ich ein neues Leben beginnen…


Tillino

 

Ich hatte eine zauberhafte Familie. Eigentlich habe ich sie immer noch. Ich warte auf sie. Meine Frau Cilia ist die hübscheste Frau, die es je gab und sie schenkte uns vier Kinder. Einen Jungen und drei Mädchen. Es ist schlimm für mich, nicht mehr an ihrem Leben so teilzuhaben, wie es damals war.

Und früher, als ich die Chance hatte, konnte ich nicht viel Zeit mit ihnen verbringen, weil ich oft arbeiten musste. Dabei waren sie immer das Wichtigste für mich und ich war froh, wenn es Wochenende war und ich mich nur um sie kümmern konnte.

Es war auch ein Wochenende, als sich alles für mich ändern sollte. Wir saßen am Frühstückstisch, als mir so komisch wurde. Mein Kopf schmerzte plötzlich sehr und Cilia sorgte sich sofort um mich, weil ich sie so seltsam ansah. Meine Kinder lachten, denn sie bekamen es nicht mit und das wollte ich auch nicht. Ich sagte ihr: „das ich mich ins Bett lege, weil ich noch müde sei“. Ich stand auf, verlor das Gleichgewicht und alles wurde schwarz.

Das wundervolle Kinderlachen, das sonst immer den Raum bei uns füllte, veränderte sich in Kreischen. Ich spürte, wie sie an mir zerrten, doch ich konnte nichts machen. Ich hörte ihre verzweifelten Stimmen und bekam alles mit. Nur eben, dass es dunkel war. Cilia rief einen Arzt und dann konnte ich wieder sehen.

Ich lag in einem Krankenbett und versuchte aufzustehen, doch es ging nicht. Meine Familie stand um mich herum und weinte. Ich konnte nichts sagen und das machte mich so fertig.

Plötzlich standen meine toten Eltern neben ihnen und ich erschrak dermaßen. Ich wusste im ersten Moment nicht, was das sollte und hielt es für Einbildung. Meine Mutter kam auf mich zu und streichelte meine Stirn, so wie sie es immer getan hatte, als ich noch ein kleiner Junge war.

Es gelang mir aufzustehen und sie nahmen mich in den Arm. Ich war gerührt von diesem Augenblick, obwohl ich noch daran zweifelte. Als sie mich wieder losließen, war ich an einem anderen Ort.

Aber da wollte ich nicht hin, sondern wieder zurück zu meiner Familie! Ich diskutierte mit ihnen, aber sie konnten mich nicht verstehen. Mir war alles egal, ich wollte nur wieder zu meiner Cilia und meinen Kindern. Ich wünschte es mir so sehr, deshalb schoss ich durch die Dimensionen und stand wieder bei ihnen. Noch immer weinten sie an meinem Krankenbett. Das war doch irre, was da geschah! Noch immer verstand ich es nicht.

Erst als ich mich im Bett liegen sah – meinen leblosen Körper. Meine Kinder streichelten mich und hofften wohl, dass ich so wieder wach werde. Sicherlich dachten sie nur: „ich schlafe“. Mir wurde dann doch sehr schnell klar, dass es nicht so sei. Aber ich wollte das nicht akzeptieren! Mein jüngster Spross war noch nicht einmal neun Jahre alt. Und nun sollten sie ohne ihren Papa aufwachsen? Das ist doch ungerecht! Und meine Cilia?

Wir waren so viele Jahre verheiratet und unzertrennlich. Ich konnte nicht von ihr gehen, auch wenn ich oft das Gefühl hatte, dass es falsch wäre, bei ihnen zu bleiben.

 

 

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